IN DIE WÜSTE GEHEN

Jeden Tag ein Stück weiter
in die Wüste hinein wagen. Zuerst eine Stunde, dann zwei, dann drei. Wasserflasche, Handy, Kamera. Beim ersten Mal geben mir die Männer etwas skeptisch wirkend einen Kompass mit. Das Wetter ist stabil, sonnig, angenehm warm. Endlich. Gehen!
"Das Gehen ist Öffnung zur Welt. Es versetzt den Menschen wieder in das glückliche Empfinden seiner Existenz" (Le Breton) Wesentlicher Orientierunspunkt bleibt der Handymast von M´hamid, der zwischen den Lehmhäusern unübersehbar und unhübsch von jeder Düne noch weit zu sehen ist.
Dünen rauf. Dünen runter

Innehalten im Schatten eines kleinen Bäumchens. Sich zusammenrollen in einer Sandmulde oder am Bauch an einem Dünenabhang liegen. Lauschen. Mit den Augen den Horizont abwandern. Die Linien, Wellen und Kurven entlangschauen. Im Alleinegehen frei sein.
Das Nervensystem beruhigt sich in der Ereignislosigkeit. Ohren können sich auffalten.
Das Fliegengesumme als einzig Hörbares aufnehmen. Ich liege im weichen Sand und schaue in den Himmel. Himmel und Sand teilen sich den sichtbaren Raum. Ein Himmel ohne Flugzeuge. Fühlt sich irgendwie völlig fremd an so unzerkratzt. Stiller Himmel und dazu so viel vom hellen Licht. Das Nichts fühlt sich so voll an. Fallweise ein Erschauern ob der gespürten Weite und des Alleinseins. Nichts zu tun. Einfach gehen in irgendeine Richtung. Zur nächsten höheren Düne.
"Die wüste ist eine denklandschaft. man geht nicht nur zwischen dünen,
man geht auch in seinem eigenen denken umher, man macht gedankengänge.
im gehen verändert sich die landschaft von bild zu bild.
es verändert sich auch der gedankenhorizont. das auge zieht es mal hier, mal dorthin, auch die gedanken wildern umher. man wirft sie hinaus, als entwürfe.
(Otl aicher, gehen in der wüste)
Aufgehoben und ausgesetzt
Reduktion und Fülle im selben Moment.
Verbundenheit mit der Landschaft und das Risiko des Verlorengehens (wenn man alleine geht oder sich auf GPS verläßt, letztes Jahr sind einige Personen verdurstet)
"Ähnlich wie beim Meer ist die Wüste oft ein Raum mit unendlich weitem Horizont, und der Mensch erlebt sich selbst unerbittlich als die Mitte des Kreises. Er ist aufgehoben und ausgesetzt im selben Moment" ( Kreszmeier)
Ja, sich Aussetzen. Sich freiwillig aussetzen dem grellen, extremen Sonnenlicht, dem Mangel an Schatten, der Trockenheit beim Atmen, der Stille und den inneren Geräuschen, Gedanken, Gefühlen, den immer wieder aufkommenden Impulsen der Gewohnheit. Aufs Handy schauen, Fotos machen, den Kompass betrachten..... Kaum Ablenkungen. Das Eigene tritt in den Vordergrund, zugleich ist es minimiert in der Weite.
"Die Wüste ist ein stiller Raum
So hört der Mensch in der Wüste sich selbst, seine Schritte und Bewegungen, seinen Atem und seinen Herzschlag deutlicher als anderswo. Der eigene Körper ist hier Instrument, Musiker und Zuhörer in einem. Das bewirkt eine konzentrierte akustische Selbstwahrnehmung, die uns unentwegt mit uns selbst in Verbindung bringt." ( Kreszmeier)
Zuerst braust es in meinen Ohren. Das eigene Blut, das Herz. Der Atem. Was ist, wenn... ?
Bedrohung und Georgenheit könnten nahe beinander liegen. Hundegebell, Stimmen, Geräusche, die nicht da sind. Wie ein Nachklang der lauten Welt.
Stille ist anfangs ohrenbetäubend.
"Die Stille umfängt uns - anfangs vielleicht bedrohlich, dann aber sickert sie ein in unsere Seele und läßt sie schliesslich im Gleichklang schwingen mit der Weite und Ruhe der Landschaft." (Jürgen Werner, Wüstenwandern)

Ich habe mich der Sahara in Etappen sehr vorsichtig angenähert. Als vor ca. 20 Jahren eine Bekannte von einer zehntägigen Wüstentour auf Kamelen erzählte, erschien mir dies damals noch ungeheuer abenteuerlich und unvorstellbar. Irgendwann begann ich in den zahlreicher werdenden Angeboten an Wüstentouren zu blättern. In Gedanken reiste ich probehalber immer wieder in die Wüste. Eine Teilnahme an üblichen Gruppenreisen immer wieder verworfen..
mein erster Schritt in die Wüste
Weiches Einsinken im Sand beim Abspringen von einem Motorrad. Dunkelheit. Silhouetten von Palmen. Sterne. Kühle Luft eines Oktoberabends. Totale Fremdheit um mich, nach einer nervenzerreissenden Fahrt im Auf und Ab über Sandwellen. Angekommen am Platz des Musikfestivals TARAGALTE, das jedes Jahr Ende Oktober nahe von Mhamid in Südmarokko stattfindet. Wie so oft alleine reisend und ohne zuvor organisierten Transfer war ich erleichtert, zu dem 7 km entfernten Festivalplatz in die Sahara geführt zu werden.
Der junge Mann mit Schesch und Gandora, der traditionellen flatternden Kleidung, an die ich mich bei der rasanten Fahrt geklammert hatte, lacht über meine französischen Protestrufe und übergibt mich seinem Freund Ali in einem kleinem, schwach beleuchteten Zelt. Bin orientierungslos in der Dunkelheit und überwältigt von der Fremdheit.
Eine blaue blecherne Teekanne auf der Glut im Sand. Bald sitze ich mit einigen freundlichen jungen Männern im Kreis, trinke aus kleinen Gläsern heissen Tee, die extreme Aufgeregtheit beruhigt sich, meine Augen adaptieren sich. Lichter der Bühne sind zu erkennen, und es wehen Klänge von E-Gitarren in unsere Richtung ..Saharablues ... die jungen Bands von M´hamid spielen das Festival ein. Nach einer Weile gehe ich hinüber und setze mich auf eine Düne vor der Bühne, der Sand ist kalt.
Am nächsten Tag erste Berührungen mit den Dünen rund um den Festivalplatz. Der unwiederbringliche Zauber des ersten Mals. Ein großes JA zu dieser Landschaft. Diese Weichheit der Linien schmeichelt Auge und Herz. Sie glätten die Gedanken, erzeugen ruhige Klarheit. Man möchte loslaufen wie ein Kind, hinein in die unberührten Sandwellen. Struppige Büsche, kleine Campingzelte, Menschengruppen, die auf Dünen sitzen, in die Weite blickend, die Sängerin und "Mutter" des Festivals - Oum, die gerade in wallenden, farbigen Gewändern für Fotoaufnahmen posiert; laut surrend kreist eine Drohne über mir; (sind in Marokko strengstens verboten). Gleichmäßige Trommelklänge der traditionellen Musikgruppen wehen zu mir... einige Männer sammeln sich in der Nähe mit ihren Kamelen und beginnen zu tanzen. Wenig von Wüstenstille hier, aber genauso faszinierend. Sonnenuntergang. Erstmals dieses beeindruckende Schauspiel der wechselnden Farbtöne am Himmel, das Rötliche, Rosige im Westen, das einzigartige, samtige Blau, Violett im Osten.

Allerheiligen am Sand
Nach dem dreitägigen Festival eine kleine Wanderung ein paar Kilometer hinein in die Wüste. Der Guide trägt eine Sporttasche mit ein paar Lebensmittel und Wasserflaschen über die Schultern gehängt. Vom Dorf M´hamid geht es zuerst über steiniges Gelände zu seinem Cam